1. Anfänge der Jugendweihe in Deutschland

Die Aufklärung hatte nicht nur die Trennung der geistigen Kultur von Religion und Kirche vorbereitet, sondern auch erste institutionelle Vereinigungen (Freimaurer, Druidenorden) ermöglicht, die sich unabhängig von der Amtskirche entwickelten. Die Entstehung freireligiöser Gemeinden und die Abkehr einer Minderheit des Volkes von der Religion und Kirche hatten dazu beigetragen, dass man mit dem sogenannten März-Edikt von 1847 in Preußen aus der Kirche austreten konnte. In ihrem Umfeld entstand am 20. Mai 1852 die erste Jugendweihe in Deutschland. Ihr Gründungsvater war Eduard Baltzer aus Nordhausen. Er prägte nicht nur den Namen Jugendweihe, sondern führte selbst Jugendweihen durch. Baltzer, Pfarrer, Demokrat, Abgeordneter der ersten deutschen Nationalversammlung, die 1848 in der Frankfurter Paulskirche tagte, trat für soziale Gerechtigkeit, Solidarität und Menschlichkeit ein, wollte eine Entfaltung des Menschen frei von kirchlichen Dogmen.

Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts verband sich die Entwicklung der Jugendweihe zunehmend mit der Arbeiterbewegung in Deutschland. Die freireligiösen Gemeinden und der 1881 gegründete „Deutsche Freidenkerverband“ erhielten mit der industriellen Entwicklung viel Zustrom aus aufgeklärten Arbeiterkreisen. 1889 in Berlin und 1890 in Hamburg fanden erste proletarische Jugendweihen statt.

Die Jugendweihen wurden zu einem festen Bestandteil weltlicher Festkultur. Es ging den verschiedenen Veranstaltern darum, die schulentlassenen Mädchen und Jungen feierlich in den Kreis der Erwachsenen aufzunehmen und sie durch den Jugendunterricht oder durch Kurse auf das spätere Leben vorzubereiten, humanistische Werte zu vermitteln und sie in die jeweiligen politischen, sozialen und kulturellen Lebenswelten zu integrieren.

Mit dem Machtantritt des deutschen Faschismus wurde dieser Tradition rigoros ein Ende gesetzt. Bereits am 28. Februar 1933 wurde durch die Verordnung des Reichspräsidenten „Zum Schutz von Volk und Staat“ auch die Jugendweihen verboten. Danach konnten nur noch vereinzelt Jugendweihen illegal stattfinden. 

2. Jugendweihe in der DDR

Die in der DDR seit 1954 kontinuierlich durchgeführte Jugendweihe besitzt eine spezifische ostdeutsche Vorgeschichte. Nach der Befreiung vom Faschismus knüpften ehemalige Funktionäre und Mitglieder der KPD, der SPD, der freireligiösen Gemeinden und der freidenkerischen Verbände an Erfahrungen an, die sie selbst mit der Jugendweihe bis zum Ende der Weimarer Republik erlebt oder mitgestaltet hatten. Nunmehr war es nicht nur möglich, sondern auch nötig, junge Menschen, Kriegskinder, Waisen und Halbwaisen im Geiste des Humanismus, der Aufklärung und des Antifaschismus zu erziehen und zu bilden. So fanden in den Nachkriegsjahren, durch sich neu konstituierende freireligiöse und freidenkerische Kreise ausgerichtet, sowohl in den Westzonen wie in der sowjetischen Besatzungszone Jugendfeiern statt. Die FDJ, 1946 als zunächst überparteiliche Jugendorganisation gegründet, warb für Grundrechte der jungen Generation, wie das Recht auf Bildung, auf Arbeit, auf Erholung und politische Mitbestimmung und verstand sich als einheitliche Jugendorganisation, in der auch junge Christen ihre Heimat finden sollten.

Ab 1949 organisierte die SED in der DDR Schulentlassungsfeiern, die neben den kirchlichen Feiern wirkten. Die traditionellen Jugendweihefeiern waren in ein politisches Machtvakuum geraten. Einerseits waren sie und ihre Träger plural organisiert, ideologisch nicht auf die marxistische Weltanschauung fixiert. Durch ihre regionale und lokale Gebundenheit, indem sie eigenständig vor Ort organisiert wurden, waren sie in hohem Maße frei von zentralistischen Einflussnahmen. Zugleich gebot die Rücksichtnahme auf die sich ausformende Bündnispolitik, Spannungen zwischen Kirche und Staat zu vermeiden. Vor diesem Hintergrund lehnte im Februar 1950 das Zentralkomitee der SED die Mitwirkung der Partei, der Gewerkschaften und der FDJ an Jugendweihen im Sinne der früheren Freidenkerverbände ab. Zum Abschluss der Schulzeit sollten stattdessen große Schulfeiern zur Entlassung der Schüler*innen stattfinden, von den Schulämtern und der FDJ gemeinsam organisiert.

Anfang der 50er Jahre verschärfte sich die internationale Lage und auch das Verhältnis zwischen beiden deutschen Staaten verschlechterte sich. Der von der 2. Parteikonferenz der SED im Juni 1952 verkündete Übergang zur Schaffung der Grundlagen des Sozialismus war damit verbunden, dass sich die politisch-ideologischen Auseinandersetzungen in der DDR verstärkten. Zunehmende feindliche Aktivitäten gegen die DDR sowie fehlerhafte Entscheidungen der Partei- und Staatsführung verschlechterten die innere Lage und führten zu den Ereignissen des 17. Juni 1953. Die Korrektur von Fehlern und der von der SED verkündete neue Kurs führten zu grundlegenden Verbesserungen sowie zu Überlegungen für eine wirksamere staatsbürgerliche Erziehung der Heranwachsenden.

Im Zusammenhang damit kam die Führung der SED zu dem Schluss, die Tradition der Jugendweihe in veränderter Gestalt zu neuem Leben zu erwecken. Am 6. Juli 1954 beschloss das Politbüro der SED, dass bis zum 9. November 1954 ein Zentraler Ausschuss für Jugendweihe zu bilden sei. Dementsprechend wandten sich am 14. November 1954 namhafte Persönlichkeiten mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit, in dem sie die Nützlichkeit der Jugendweihe begründeten und für die Teilnahme an ihr warben. Aus dem Staatshaushalt wurden notwendige finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt. 1955 fanden die ersten Jugendweihen in der DDR statt.

Obwohl die Jugendweihe von Beginn an für alle Jugendlichen unabhängig von ihrer Weltanschauung und religiösen Bindung offen war, führte ihre Durchsetzung vielerorts zu Auseinandersetzungen. Christliche Jugendliche, die anfangs in der FDJ eine politische Heimat zu finden hofften, wurden zunehmend an den Rand gedrängt und waren nicht selten Repressionen ausgesetzt. Die Auseinandersetzungen kulminierten, wenn die Teilnahme an der Jugendweihe als JA-Stimme und die Nichtteilnahme als NEIN-Stimme zur sozialistischen Ordnung in der DDR gewertet wurde. Folglich entwickelte sich an vielen Stellen ein „freiwilliger Zwang“. Und wer sich ihm nicht beugte, hatte möglicherweise mit Konsequenzen, wie etwa nicht zur Erweiterten Oberschule zu dürfen oder bestimmte Lehrberufe nicht ergreifen zu können, zu rechnen. Aber auch von kirchlicher Seite wurde Druck ausgeübt. Die evangelische Kirche, auf ihr volkskirchliches Erbe vertrauend, konstruierte eine Unvereinbarkeit zwischen Jugendweihe und Konfirmation. Jugendliche, die sich für die Jugendweihe entschieden, wurden von der Konfirmation ausgeschlossen. Die katholische Kirche hielt bis 1989 an der Unvereinbarkeit von Kommunion und Jugendweihe fest.

In dieser Situation fand der Aufruf zur Jugendweihe nur zögerliche Resonanz. Von den geplanten 100.000 Teilnehmer*innen kamen 1955 nur 52.322, das entsprach 17,7 % der 14-Jährigen im Land. Doch schon 1960 nahmen bereits 87,8 % und 1988 97,3 % aller Mädchen und Jungen der 8. Klasse an der Jugendweihe teil.

Die Jugendweihe entwickelte sich zu einem Höhepunkt im Leben vieler Familien, geeignet, den Heranwachsenden das Ausklingen der Kindheit und das Hineinwachsen in den Status der Erwachsenen bewusst zu machen. Mehr als 300.000 ehrenamtliche Helfer*innen aus allen Schichten der Bevölkerung unterstützten seit Ende der 50er Jahre die Ausschüsse für Jugendweihe und wirkten mit an in Erinnerung bleibenden und prägenden Feiern zur Jugendweihe und Jugendstunden.

Vorbereitungsveranstaltungen, Jugendstunden genannt, gaben den Teilnehmer*innen Antworten auf sie bewegende Lebensfragen. Die in 10 Themenkomplexen angelegten Jugendstunden sollten der Herausbildung eines sozialistischen Bewusstseins dienen. Die Umsetzung der Inhalte war entscheidend vom Standpunkt und der Persönlichkeit der Jugendstundenleiter*innen und der Gesprächspartner*innen geprägt. Schon aufgrund der Herkunft und Professionen der 80.000 Gesprächsleiter*innen war der Bezug zum realen Leben stets gegeben. Engagierte Eltern, Jugendstundenleiter*innen, Festredner*innen, Berufs- und Laienkünstler*innen, Gesprächspartner*innen aus allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens organisierten Betriebsbesichtigungen, die Teilnahme an Gerichtsverhandlungen, Besuche in antifaschistischen Gedenkstätten, Theaterbesuche, Diskotheken, Modenschauen, Typberatungen und den Besuch von Kunstateliers. So wurden Neugier und Entdeckungsfreude geweckt und Erlebnisse geschaffen, welche oft unterhaltsamer als Schulunterricht waren. Trotz häufig fragwürdiger ideologischer Aufladungen war die Jugendweihe für die Mädchen und Jungen Teil ihrer weltanschaulichen und charakterlichen Bildung und Erziehung sowie eine Möglichkeit zu vielseitigen Erlebnissen während der Jugendstunden.

Wer die Jugendweihe in der DDR – die über 35 Jahre begangen wurde – einseitig diffamiert, verkennt nicht nur, dass zwei Generationen durch sie mehrheitlich positiv geprägt wurden, sondern diskreditiert viele Menschen, die ehrlich und engagiert wirkten, der heranwachsenden Generation eigene Identität, humanistische und antifaschistische Werte zu vermitteln und Perspektiven aufzuzeigen. Gleichzeitig werden die souveräne Entscheidung der Mehrzahl der Familien, eigenständig zu bestimmen, in welcher Art und Weise Jugendliche den Initiationsritus des Erwachsenwerdens begehen, ignoriert.

In der gesamten Zeit des Wirkens der Jugendweihe in der DDR von 1955 bis 1990 erlebten mehr als 7 Millionen Mädchen und Jungen die Jugendweihe. An diesen Feiern nahmen über all die Jahre etwa 60 Millionen Gäste teil.

3. Jugendweihe im Um- und Aufbruch

Im Herbst 1989, wo sich 172.000 Mädchen und Jungen für die Jugendweihe im Frühjahr 1990 angemeldet hatten, befand sich die DDR in einer tiefen Krise: Es zeichnete sich die Gefahr ihres Untergangs ab. Leidenschaftlich und kontrovers wurde in den Ausschüssen der Jugendweihe auf allen Ebenen um notwendige inhaltliche und organisatorische Veränderungen gestritten. Jugendweihe sollte nicht mehr durch die Politik einer einzigen Partei bestimmt werden. Sie zeitgemäß und modern für die jungen Menschen anzubieten, erforderte, das aus der Zeit des Kalten Krieges stammende Gelöbnis abzuschaffen, das Jugendstundenprogramm zu verändern, das Geschenkbuch „Vom Sinn des Lebens“ völlig neu zu erarbeiten und die zentralistische Führung aufzugeben.

Am 9. Juni 1990 gründete sich die Interessenvereinigung Jugendweihe e.V. mit der Intention, dass für die Jugendweihe das Prinzip der Freiwilligkeit der Teilnahme und ihre Unabhängigkeit von Weltanschauung, Religion, Nationalität, Staatsangehörigkeit, ethnischer Gemeinschaft und politischer Organisiertheit gilt. Die Jugendweihe ist offen für alle, die sie wünschen.

Politisch ist Jugendweihe in Ostdeutschland längst von ihrer konkreten DDR-Tradition abgekoppelt. Als Teil einer spezifischen und mentalen Identität indessen hat sie nicht nur Bestand, sondern sich nach Anfangsschwierigkeiten wieder zu einer stark gefragten Veranstaltung entwickelt. Ungeachtet verschiedener Anbieter mit gewissen programmatischen Unterschieden bleibt die Jugendweihe weiterhin eine Bereicherung gesamtdeutscher Kultur und Sozialisation. Sie sollte als solche allseitig akzeptiert und als Bestandteil der inneren Einheit eines gesamten Deutschlands verstanden werden.